07.07.23
10:14
Reuters
TOP-THEMA-Thyssenkrupp Nucera hebt nach "Mondlandung" an der Börse ab
- Wasserstoff-Aktie legt um bis zu neun Prozent zu
- Börsengang firmierte intern als "Projekt Apollo"
- Thyssenkrupp will langfristig beteiligt bleiben
(Neu: weitere Kursentwicklung, Finanzchef, Banker, Hintergrund)
von Alexander Hübner und Christoph Steitz
Frankfurt, 07. Jul (Reuters) - "Apollo" ist sicher gelandet. Die Wasserstoff-Tochter von Thyssenkrupp (TKAG.DE), Nucera (NCH2.DE), hat ein erfolgreiches Börsendebüt hingelegt. Intern firmierte das Projekt unter dem Codewort Apollo, worauf Nucera-Chef Werner Ponikwar am Freitag auf dem Frankfurter Börsenparkett anspielte: "Wir feiern unsere Mondlandung." Schon der erste Kurs lag mit 20,20 Euro über dem Ausgabepreis von 20 Euro, bei Managern und Investmentbankern brandete erleichterter Beifall auf. Danach hob das Nucera-Papier sogar um bis zu neun Prozent auf 21,78 Euro ab. Nucera ist ein Hoffungsträger des Essener Industriekonzerns. Die bewährte Technik der Chlor-Alkali-Elektrolyse lässt sich auf "grünen Wasserstoff" übertragen, der eine Schlüsselrolle bei der Energiewende spielt.
"Wir haben ihnen die unternehmerische Freiheit gegeben, und jetzt ist ein Milliarden-Unternehmen daraus geworden", sagte der neue Thyssenkrupp-Chef Miguel López, der kurz nach Amtsantritt grünes Licht für den Börsengang gegeben hatte - obwohl seit fünf Monaten kein deutsches Unternehmen den Sprung an den Aktienmarkt gewagt hatte. Die Thyssenkrupp-Aktie legte am Freitag fast drei Prozent zu. Lopez' Vorgängerin Martina Merz hatte den Schritt wegen der schwächelnden Konjunktur nach der russischen Invasion in der Ukraine mehrfach verschoben. Am Freitag wurde Nucera mit 2,75 Milliarden Euro bewertet. Die Emission brachte 605 Millionen Euro ein. Mehr als 500 Millionen davon gehen an Nucera selbst.
Das Geld will das Unternehmen mit gut 600 Mitarbeitern aus Dortmund vor allem in den Ausbau des Elektrolyse-Geschäfts stecken. Mit Elektrolyse-Anlagen kann im großen Maßstab grüner Wasserstoff produziert werden. Bisher lässt das Unternehmen die Anlagen bauen, künftig könnten Schlüssel-Komponenten auch selbst hergestellt werden, wie Finanzvorstand Arno Pfannschmidt der Nachrichtenagentur Reuters sagte. "Wir sind hochzufrieden mit dem Ausgabepreis, der uns genügend Spielraum gibt", sagte Nucera-Chef Ponikwar, der in weißen Turnschuhen mit violetten Schnürsenkeln, den Unternehmensfarben, vor der Kurstafel stand. Nucera werde sich zunächst auf die Erschließung des Marktes in Europa und den USA konzentrieren.
NEUER THYSSENKRUPP-CHEF GAB GLEICH GRÜNES LICHT
"Der Börsengang ist ein wichtiger Schritt im Transformationsprozess der gesamten Thyssenkrupp-Gruppe", sagte Lopez. Der Konzern will auch andere Bereiche neu aufstellen, so das Stahlgeschäft und die Tochter Thyssenkrupp Marine Systems. Bei Nucera will Thyssenkrupp langfristiger Aktionär bleiben. Der Konzern hat nur Nucera-Aktien für gut 50 Millionen Euro verkauft und seinen Anteil auf 50,2 von 66 Prozent abschmelzen lassen. Der italienische Partner De Nora (DNR.MI) bleibt mit mindestens 25,9 Prozent beteiligt.
Die begleitenden Investmentbanken hatten den Börsengang mit zwei Ankerinvestoren abgesichert. An den saudi-arabischen Staatsfonds PIF und einen Nachhaltigkeitsfonds der französischen Bank BNP Paribas (BNPP.PA) gingen zusammen 39 Prozent der Aktien. Diese Papiere stehen vorerst nicht für den Handel zur Verfügung. Im Streubesitz sind tatsächlich nur knapp 15 Prozent der Nucera-Aktien. Auch sonst hätten vor allem Investoren zugegriffen, die sich auf die Energiewende spezialisiert haben, sagte ein Banker.
"Das Unternehmen muss zwar noch profitabel werden, aber die Investoren setzen auf die Technologie der Firma und die starken Wachstumsaussichten für grünen Wasserstoff", sagte Christof Muerb von der Deutschen Bank, die den Börsengang zusammen mit dem US-Institut Citi organisiert hat. Die gegenwärtigen Verluste seien vor allem in den Kosten zum Kapazitätsausbau begründet, sagte Finanzchef Pfannschmidt. Der Umsatz mit Wasserstoffanlagen soll im nächsten Geschäftsjahr 2023/24 (per Ende September) auf 600 bis 700 Millionen Euro wachsen, 2024/25 sind 850 bis 950 Millionen Euro geplant. Dann werde Nucera auch schwarze Zahlen schreiben.
Börsenkandidaten und Investmentbanker hoffen, dass der Erfolg der ersten Neuemission in Frankfurt seit dem Webhosting- und Cloud-Anbieter Ionos (IOSn.DE) im Februar Anlegern wieder Vertrauen gibt. Als "Eisbrecher" tauge Nucera angesichts der speziellen Investorenbasis aber wohl nicht, sagte ein Banker. Für Herbst peilen einige Unternehmen den Gang an die Börse an, allen voran der Pharmaverpackungshersteller Schott Pharma.
(Bericht von Alexander Hübner, Christoph Steitz und Tom Käckenhoff redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)